Patienten mit Schwindel und Gleichgewichtsproblemen haben häufig eine lange andauernde Krankheitsgeschichte hinter sich. Der Mangel an Spezialisten für Schwindelerkrankungen und die Vielzahl an Ursachen für Schwindel Symptome macht es Betroffenen schwer, frühzeitig mit einer entsprechenden Therapie zu beginnen.

Die Ursache für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen, liegt in einem der drei Komponenten des Gleichgewichtssystems.

  1. Dem Gleichgewichtsorgan
  2. Dem Nervensystem  
  3. Der Bewegungswahrnehmung in Muskeln, Sehnen und Gelenken.

Liefert eines dieser drei Komponenten falsche Informationen ( wie zum Beispiel beim Lagerungsschwindel oder bei einer Polyneuropathie), oder arbeiten diese nicht harmonisch und genau miteinander, so empfinden wir Schwindel und Gleichgewichtsprobleme.  

Das Gleichgewichtsorgan

Das Gleichgewichtsorgan befindet sich im Innenohr.

Eingebettet im Felsenbein, dem härtesten Knochen im Kopf, wird es bei Bewegungen stimuliert. 

Das Gleichgewichtsorgan besteht aus drei Bogengängen, dem Vestibulum und der Gehörschnecke. Durch Bewegungen des Kopfes oder des Körpers im Raum, werden Sinneshaarzellen im Gleichgewichtsorgan entsprechend gereizt, und wir empfinden Bewegung.

Die Bogengänge 

Diese Reizung geschieht bei Drehbeschleunigungen des Kopfes in den Bogengängen. Durch ein Flüssigkeit, welche sich in den Bogengängen befindet und träge auf Bewegungen reagiert, werden die Sinneshaarzellen an der Innenwand der Bogengänge bewegt.

Das entsprechende Reizmuster der bewegten Härchen wird im Gleichgewichtszentrum im Gehirn als Drehung nach rechts oder links, als Seitneigung oder als Kopfbewegung nach vorne oder hinten interpretiert.

Das Vestibulum

Linearbeschleunigungen ( Beschleunigung/Bremsen beim Auto fahren, beim Sprung vom Dreimeterbrett usw.) werden im Vestibulum wahrgenommen. Dort haften kleine Kristalle, die Otolithen, auf einer puddingartigen Proteinschicht, welche über den dortigen Sinneshaarzellen liegt. Bei Beschleunigungen wird die Bewegung mittels der Kristalle über die Proteinschicht auf die Sinneshaarzellen übertragen und die Bewegungsinformation von dort ins Gehirn gesendet. 

Zum besseren Verständnis eignet sich hier der Vergleich mit einem Pudding (Proteinschicht), welcher mit Streuseln (Otolithen) bedeckt ist.

Wird der Pudding bewegt, verstärken die Streusel die Bewegung des Puddings.

Ein Beispiel für eine Erkrankung des Gleichgewichtsorgans, ist der gutartige Lagerungsschwindel. Bei diesem “verirren” sich die Kristalle aus dem Vestibulum in einen der Bogengänge und stimulieren dort die Sinneshaarzellen fehlerhaft.

Die Folge ist ein Drehschwindel bei Kopfbewegungen.

Das Nervensystem

Die Nerven sind unsere Informationsautobahn und das Gehirn deutet die einkommenden Informationen zu einem Gesamtbild, welches das gesamte Erleben einer Situation darstellt. Ist diese Informationsübermittlung oder deren Interpretation im Gehirn fehlerhaft, kann kein korrektes Bild der Bewegungssituation erstellt werden. 

Diese Ungenauigkeit ist für uns als Schwindel wahrnehmbar.

So können Verletzungen und Erkrankungen des Nervensystems, aber auch eine durch Alter oder Bewegungsmangel entstandene “Schwäche” bestimmter Bewegungsreflexe zu Schwindel führen. 

Typische Erkrankungen des Nervensystems, welche Schwindel verursachen können, sind Gehirnerschütterungen, Raumvordernde Prozesse ( zB. Akustikusneurinom), Multiple Sklerose, Migräne oder Polyneuropathien. 

Bewegungswahrnehmung im Bewegungsapparat 

Auch mit geschlossenen Augen, spüren wir ob unser Knie gebeugt ist oder ob wir mehr auf dem rechten oder auf dem linken Bein stehen. Diese Wahrnehmungsform nennt sich Tiefensensibilität und ist ein wichtiges Informationssystem.

Bei Schmerzen, oder bei einem schlechten Trainingszustand, sind die Informationen über die stattfindenden Bewegungen und Belastungen ungenauer.

Die Folge davon ist, dass wir uns beim Bewegen unsicher fühlen und weniger genau reagieren können. 

Ein unebener Weg, Gefälle oder kleine Hindernisse sind dann deutlich schwerer und mit einer erhöhten Sturzgefahr zu überwinden.

Auch bei Erkrankungen des Nervensystems, zum Beispiel bei einer Polyneuropathie (häufige Folge einer Diabetes Erkrankung) ist die Tiefensensibilität verschlechtert. 

Aktiv gegen den Schwindel

Die folgenden 3 Übungen für das Gleichgewichtsorgan, das Nervensystem und die Bewegungswahrnehmung können Schwindelsymptome verringern.

Nicht immer kann die ursächliche Erkrankung, welche den Schwindel oder das Gleichgewichtsproblem verursacht, mit den folgenden Übungen therapiert werden, ein Training der entsprechenden Systeme hilft allerdings meistens, Schwächen besser kompensieren zu können und die Informationen aus den drei Teilbereichen des Bewegungssystems harmonischer in Einklang zu bringen und damit Schwindel und Unsicherheit zu reduzieren.

Aus diesem Grund ist es bei jeder Erkrankung mit Schwindel ratsam, ein spezielles Übungsprogramm auf zu nehmen.

Prävention und Profisport

Auch bei Gesunden, kann ein Training der Gleichgewichtssysteme präventiv gegen einen Schwindel im Alter oder zur Verbesserung sportlicher Leistungen führen.

Inzwischen sind Übungen aus der vestibulären Rehabilitationstherapie, der Schwindeltherapie, im Profisport angekommen und werden dort erfolgreich eingesetzt.  

Drei einfache Übungen 

Augenreflexe zur Blick stabilisation trainieren

Wie bei einer guten Video-Sportaufnahme, können wir die Augen trotz schneller Kopfbewegungen stabil auf ein Ziel gerichtet halten. 

Elementar bei jeder Fahrrad fahrt oder beim zügigen Gehen, haben wir im Optimalfall immer ein “ruhiges” Bild. 

Bei Erkrankungen oder im Alter, kann diese Fähigkeit nachlassen und Unsicherheit beim Bewegen erzeugen.

Mit folgender Übung, kann man ein “ruhiges” Bild trainieren. 

Setz dich vor einen Spiegel und schau dir selbst in die Augen. Ich mache dir das einmal vor:

Schritt 1 der Übung: Schaue dir selbst in die Augen (in diesem Fall mir, Julian :))

Nun dreh den Kopf so weit wie möglich nach rechts und links, bzw. nach oben und unten, ohne dich selbst aus den Augen zu verlieren.

Schritt 2 der Übung: Drehe den Kopf so weit wie möglich nach rechts…
Schritt 3 der Übung: … und nach links. Gucke dich weiterhin immer an.
Schritt 4 der Übung: Nun gucke nach unten …
Schritt 5 der Übung: … und nach oben. Achte darauf dir weiterhin in die Augen zu schauen.

Man kann diese Übung natürlich auch ohne Spiegel machen, und einen Gegenstand mit den Augen fixieren.

Die Erfahrung zeigt, dass anfangs die Übung vor dem Spiegel am einfachsten ist. Mit meinen Patienten in der Physiotherapie mache ich es ebenfalls zusammen vor einem Spiegel.

Julian, Physiotherapeut bei Therabase in Pforzheim

Als Steigerung liest man während der Kopfbewegungen einen kurzen Text, oder geht dabei umher Achtung: Sturzgefahr. Bitte vorsichtig beginnen oder ggfs. eine andere Person darum bitten zu unterstützen.

Übung für das Gleichgewichtsorgan

Suche dir einen Punkt oder einen Gegenstand rechts von dir und einen links von dir, bzw. einen Punkt über dir und einen unter dir/ deine Füße.

Nun versuche, mit einer möglichst zügigen Kopfbewegung zwischen diesen beiden Punkten hin und her zu schauen. 

Du solltest die Gegenstände/Punkte dabei kurz fest im Blick haben, bevor du den Kopf wieder in die Gegenrichtung drehst.

Hier habe ich dir die Übungen einmal dargestellt:

Schritt 1: Gucke zuerst nach links (Du kannst natürlich auch mit dem Blick nach rechts beginnen)
Schritt 2: Und nun nach rechts
Schritt 3: Nun blicke nach oben
Schritt 4: Und anschließend nach unten

Bewegung verfolgen

Bewegten Gegenständen hinterher zu schauen, kann Gleichgewichts beschwerden auslösen.

Vorbeifahrende Autos, oder der Tischtennisball im Spiel, wenn man seinen Blick auf ein bewegtes Objekt fixiert, ist das Gleichgewichtssystem gefordert.

Noch anspruchsvoller wird das ganze, wenn man sich während dessen selbst bewegt, wie zum Beispiel beim Sport oder im Straßenverkehr.

Um diese Situation zu trainieren, kann man folgendes tun.

Strecke einen Arm aus und schau auf deinen Daumen.

Schritt 1 der Übung: Strecke den Arm aus und schaue auf deinen Daumen

Nun bewege den Arm von rechts nach links, bzw. nach oben und unten.

Schritt 2: Bewege den Arm nun langsam in die Mitte. Halte den Blick dabei weiterhin auf deinem Daumen.
Schritt 3: Die Abstände sollten dabei in etwa gleich groß und schnell sein.
Schritt 4: Bewege den Arm dann nach unten und…
Schritt 5 der Übung: …anschließend nach oben.

Die Bewegung sollte möglichst gleichmäßig und groß sein.

Halte dabei den Daumen fest im Blick und Bewege deinen Kopf mit der Armbewegung mit.  

Anstatt deines Daumens, kannst du auch einen anderen Gegenstand anschauen.

Ein Ball oder ein eine Postkarte, irgendetwas woran du deinen Blick gut fixieren kannst.

Mein persönlicher Tipp:

Baue diese Übungen in deinen Alltag ein.

Beim Spazieren gehen, beim Lesen, bei arbeiten am PC, diese Übungen kann man häufig leicht in den normalen Tagesablauf integrieren.

Beginne diese Übung sitzend, wenn du dich sicher fühlst und keine Sturzgefahr besteht, kannst du diese Übung im Stehen oder auch beim Gehen machen.

Wie oft und wie lange sollte ich die Übungen gegen Schwindel machen?

Diese Übungen lösen bei Menschen mit schwachem Gleichgewichtsorgan schnell Schwindel aus. Beginne langsam und im Sitzen und steigere dich allmählich.  

Die Übungen aus der vestibulären Rehabilitationstherapie sollten mehrmals täglich, ca. drei bis fünf Mal, über kürzere Zeit, ca. zehn Minuten, gemacht werden. 

Tritt dabei Schwindel oder Übelkeit auf, sollte die Übungseinheit beendet werden.

Wer langsam die Intensität steigert und sich nicht mit den Übungen überfordert, hat die besten Trainingsergebnisse.

Zu intensives Training, welches starken Schwindel auslöst, kann sich langfristig negativ auf den Trainingserfolg auswirken und sollte dringend vermieden werden.

Übungen für die Bewegungswahrnehmung/Tiefensensibilität

Um die Bewegungswahrnehmung zu trainieren, empfiehlt es sich grundsätzlich möglichst aktiv zu sein.

Wer viel läuft, Sport macht und allgemein Aktiv ist, hat in der Regel eine gute Bewegungswahrnehmung.

Bei Erkrankungen, wie zum Beispiel einer Polyneuropathie oder einer krankhaften Muskelschwäche, kann die Tiefensensibilität verschlechtert sein.

Eine Mischung aus Kraft- und Koordinationstraining der Beine und des Rumpfes ist eine gute Möglichkeit des zusätzlichen Trainings.

Eine einfache Trainingsmöglichkeit bietet hier zum Beispiel schon Treppensteigen.

Zuerst mit einer Hand am Geländer, später frei und als weitere Steigerung, nimmt man zwei Stufen auf einmal.

Gehen auf unebenem Untergrund, wie im Wald oder auf einer Wiese, fordert und fördert ebenso die Bewegungswahrnehmung.

Genauso Übungen mit geschlossenen Augen. Von einem Stuhl aufstehen, in die Hocke gehen, einen Schritt vor oder zur Seite, mit geschlossenen Augen, müssen wir unseren gesamten Fokus auf die Wahrnehmung in unserem Körper legen.

Wie bei jeder Art von Training, beginnt man auch hier mit einfacheren Situationen und steigert sich langsam.

Übungen für die Tiefensensibilität sollten täglich erfolgen und lassen sich wie die oben beschriebenen Übungen für das Gleichgewichtsorgan leicht in den Alltag einbauen. 

Aber bitte dran denken: Safety first!

Sicherheit steht beim Training des Gleichgewichts an erster Stelle. Die Übungen klingen und wirken sehr einfach – bitte nicht unterschätzen.

Im Zweifelsfall sollte mit einer einfachen aber sicheren Übung gearbeitet werden.

Wer große Probleme mit dem Gleichgewicht hat, kann das Training mit einem geschulten Trainingspartner, zum Beispiel mit einem Physiotherapeuten oder Bewegungstrainer machen.

Mein Fazit:

Es klingt alles so einfach. Lass dich nicht entmutigen und gehe deine Schwindelprobleme nun an. Diese Übungen helfen dir dabei und ich hoffe, dass Du in Zukunft weniger mit Schwindel zu kämpfen hast.

Bei Fragen schreib mir gerne hier ein Kommentar – ich helfe dir gerne weiter.

Liebe Grüße,
dein Julian